Die weltweit digitalisierte und mit Online-Spielen verflochtene
Spielsucht bedroht vor allem Jugendliche und Kinder. Wir
haben von Dr. Marc Potanza von der medizinischen Fakultät
der Universitätsklinik für Psychiatrie Informationen über
die Veränderungen der Spielsucht und die zu treffenden
Vorsichtsmaßnahmen erhalten.
Wie würden Sie die aktuelle Situation
in der Welt in Bezug auf Spielsucht
beschreiben?
Die offizielle Diagnose und der für
die Spielsucht verwendete Ausdruck
“Glückspiel-Störung” wurde vor kurzer
Zeit im DSM-5 (diagnostisches und
statistisches Handbuch für psychische
Störungen der amerikanischen
psychiatrischen Vereinigung)
und im ICD-11 (Internationale
Klassifikation von Krankheiten)
als eine Verhaltensabhängigkeit
eingestuft. Obwohl das Glücksspiel
in verschiedenen Kulturen auf der
ganzen Welt seit Tausenden von Jahren
existiert, gibt es heute Veränderungen
im Spielverhalten vieler Menschen.
Beispielsweise ist die Online-
Glücksspielbranche in den letzten
zehn Jahren enorm gewachsen. Die Art
und Weise, wie Menschen im Internet
spielen, unterscheidet sich aufgrund
der unterschiedlichen Verfügbarkeit
und Zugänglichkeit teilweise von der
Art und Weise, in der sie offline spielen.
Darüber hinaus haben Glücksspiele
und Videospiele begonnen sich zu
verflechten, und es ist wichtig, junge
Menschen von Glücksspielproblemen
abzuhalten, da sie von Videospielen auf
die Glücksspiele umsteigen.
Was wird unternommen und was
ist geplant, um die öffentliche
Gesundheit zu schützen?
Die Ansätze zum Schutz der öffentlichen
Gesundheit variieren von Land
zu Land. Einige Länder verbieten
gesetzlich das Spielen. Einige Länder
versuchen, das Spielen mit Steuern
oder anderen Beschränkungen zu
vermeiden, während andere Länder
das Spielen legal zulassen. Die
Weltgesundheitsorganisation hat der
ICD-11 eine Definition bezüglich der
Glücksspielstörung hinzugefügt, um
riskantes Glücksspielverhalten, das
das Ausmaß der Glücksspielstörung
noch nicht erreicht hat anzugehen.
Darüber hinaus haben sich Mitglieder
der Weltgesundheitsorganisation in
den letzten fünf Jahren getroffen,
um Bewertungsinstrumente für
Glücksspiele zu entwickeln, die in allen
Ländern eingesetzt werden können.
Welche Rolle spielen die
Nichtregierungsorganisationen in
dieser Angelegenheit?
Es sind viele Interessengruppen
vorhanden, die der Glückspielstörung
vorbeugen möchten und Menschen mit
dieser Störung helfen möchten. Aus
diesem Grund sollten diese Gruppen an
solchen Studien teilnehmen. Gruppen,
die Glückspiele spielen lassen (sowohl
im öffentlichen als auch im privaten
Sektor) sollten sich für den Schutz der
öffentlichen Gesundheit einsetzen. Es
ist wichtig, die möglichen Auswirkungen
von Glücksspielprodukten zu
verstehen, insbesondere bei
potenziell gefährdeten Gruppen. Die
politischen Entscheidungsträger
sollten verbindliche Gesetze
erlassen, die Einzelpersonen vor
Glücksspielproblemen schützen
und Maßnahmen unterstützen, um
Menschen zu helfen, die bereits
Glücksspielprobleme haben.
Organisationen, die die Forschung zur
Prävention, Behandlung und öffentlicher
Gesundheit unterstützen, sollten Mittel
für die Forschung zu Glücksspielen
bereitstellen. Beamte des öffentlichen
Gesundheitswesens und Angehörige der
Gesundheitsberufe sollten in Bezug auf
Glücksspielstörungen geschult werden
und erfahren, wie dem vorgebeugt und
Menschen mit dieser Störung am besten
behandelt werden können.
Was ist Ihre Meinung zu dem Grünen
Halbmond und seinen Aktivitäten?
Der Grüne Halbmond befasst sich
in verschiedenen Studien aktiv mit
Glücksspielstörungen. Der Grüne
Halbmond hat die Initiativen der
Weltgesundheitsorganisation zur
Bekämpfung gefährlicher und
unkontrollierter Glücksspielstörungen
unterstützt und daran teilgenommen.
Der Grüne Halbmond war an
Bildungsaktivitäten zur Vorbeugung und
Behandlung von Glücksspielstörungen
in der Türkei beteiligt. Diese Studie zielt
darauf ab, die öffentliche Gesundheit
in der Türkei und der ganzen Welt
weiterzuentwickeln.
Interview: Kemal Altın
DR. MARC POTANZA:
“DIE DIGITALISIERUNG
DES GLÜCKSPIELS LÖST
DIE ABHÄNGIGKEIT AUS”
Derzeit arbeitet er an der
medizinischen Fakultät der Yale
Universität in der Abteilung
für Psychiatrie. Gleichzeitig ist
er der Direktor der Abteilung
für Neurowissenschaften des
Studienzentrums für Kinder, des
Exzellenzforschungszentrums
für Glücksspiele, des
Forschungsprogramms
für Impulsivität und
Impulskontrollstörungen
sowie des Frauen- und
Suchtforschungszentrums für
Frauengesundheit derselben Fakultät.
WER IST DR. MARC POTANZA?
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